Konzerte und Oper
iBeiträge aus den Badischen Neuesten Nachrichten
und Der Kurier für Karlsruhe, Ettlingen und Hardt
ab Dezember 2009 bis Mai 2010
Festlicher Höhepunkt (29.12.09)
Karlsruher Singalone mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach
Fesselnde Symbiose von Wort und Musik (8.1.10)
Klangwelten des Gedok-Neujahrskonzerts gingen unter die Haut
Orchestrales Herzblut (30.3.10)
Konzert der hoch motivierten KIT-Philharmonie in Karlsruhe
Nagelprobe der Menschlichkeit (1.4.10)
Martinus "Griechische Passion" hat am Badischen Staatstheater Premiere
Osterfreude erblühnte in inniger Harmonie (6.4.10)
Franz Schuberts Messe in C-Dur bereicherte klangschön den Ostergottesdienst in St. Bonifatius
Festival der Lebensfreude (Karlsruher Kurier 9.4.09)
Opernball mit Flair der ungarischen Pustas
Klangakrobatik am Rande des Abbgrunds (8.5.10)
Europäische Kulturtage: ein Konzert mit György Kuttágs Kafka-Fragmenten
Lobpreis aus tönenden Pfeifen (10.5.10)
Eindrucksvolles Programm bei der Durlacher Orgelnacht
Atmosphärisches Finale (12.5.10)
Nachklang der Kulturtage mit ungarischer Chor- und Klaviermusik
Der komplette Beitrag ungekürzt (11.5.10):
Bezaubernde Gesangskultur
in faszinierenden Klangwelten
Europäische Kulturtage: atmosphärisch intimes Finale mit ungarischer Klavier- und Chormusik
Bemerkenswert, wie sich alle Akteure des Studio Vocale Karlsruhe beim letzten Akt der Europäischen Kulturtage in die sehr national gefärbte Musik einer anderen Kultur vertieften und sich geradezu in sie hinein lebten. Weltliche Chor- und Klaviermusik des 20. Jahrhunderts von vier der bedeutendsten ungarischen Chorkomponisten standen am Sonntag in der Nancyhalle auf dem Programm sowie mit Psalm 130 für gemischten Chor: De profundis eine geistliche Komposition von József Karai.
Béla Bartók (1881-1945) und Zoltán Kodály (1882-1967) waren Pioniere auf der Suche nach einem eigenen nationalen Stil. Kodály regte Bartók an, die heimische, volkstümliche Musik zu studieren und beide sammelten akribisch nicht alleine ungarische Volkslieder. Die Melodien und Tanzrhythmen ließen sie in ihre Musik einfließen und kreierten aufbauend auf originären Traditionen etwas Neues.
Wie schwer es ist, sich in die Mentalität eines anderen Volkes hineinzuversetzen und deren Empfinden zu verinnerlichen, zeigt sich daran, dass es meist einheimische Interpreten sind, die Bartók und Kodály, aber etwa auch Werke der tschechischen Komponisten Bedich Smetana und Antonín Dvoák authentisch erklingen lassen. Umso mehr verdient der Einsatz des Studio Vocale unter der sehr eleganten Leitung von Werner Pfaff höchste Anerkennung. Beschwingt und unbeschwert fingen der gemischte Chor und Manfred Kratzer am Klavier in Bartóks Vier slowakische Volksliedern das folkloristische Kolorit ein. Dieses kristallisierte Kratzer ebenso in seinem temperamentvollen und rhythmisch-kraftvollen Vortrag von Bartóks Burlesken op. 8 musikalisch tief und feinsinnig heraus.
Erstaunlich auch, wie erfolgreich der Männerchor der ungarischen Seele in Huszt (1936) nachspürte und impulsiv die patriotischen Gefühle nachempfand, die dem in Ungarn populären Gedicht innewohnen, das Kodály im Geiste von Ungarns einstiger Größe mit Blick nach vorne vertonte.
Während Bartók und Kodály in ihrer harmonischen und tonalen Anlage, in ihrer Synthese von Alt und Neu gewiss noch für ein breiteres Publikum gut verdaulich sind, trifft die Musik des experimentellen Neuerers György Ligeti (1923-2006) nicht mehr jedermanns Geschmack. Indessen baute er wie Karai (*1927) auf die Chorkultur ihrer beiden Vorläufer auf und entwickelte sie mit einer eigenen Tonsprache weiter. Auch dass von Ligeti nur Chorwerke zu hören waren, die er noch vor seiner Emigration in Ungarn schrieb, fügte sie nahtlos in das musikalisch und thematisch schlüssige und runde Gesamtkonzept ein.
Ein Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch das Programm zog war die Klage in den Chorballaden, in Kodálys Molnár Anna, Ligetis Räuberballade Pápainé, Kodálys Árva vagyok (Ich bin eine Waise) für Frauenchor und in De profundis von Karai. Gerade in diesem vielschichtigen modernen Werk bewies der Chor, wie souverän er auch mit sperrigerem zeitgenössischen Repertoire umzugehen weiß.
Neben der Identitätssuche über die heimische Folklore, getragen von Volksliedmelodien, Tanzrhythmen und Balladen, war das Experimentieren mit Klängen und Klagräumen eine weitere Leitlinie, vermittelt durch die Klaviermusik von Bartók und Ligeti sowie die Chorstücke von Karai, Hegyi éjszakák (Gebirgsnächte) von Kodály und Ligetis frühem Zyklus Éjszaka (Nacht) und Reggel (Morgen), der bereits Ansätze zu einer extremen Mikropolyphonie aufweist. Hochvirtuos und differenziert im Spiel der wechselnden Tempi meisterte Manfred Kratzer Ligetis späte Etüden für Klavier, die sich in ihren komplexen polyrhythmischen Charakter dem Hörer in ihrer Struktur auf Anhieb nicht leicht erschließen.
Ingesamt ein Konzert, in dem die Kräfte des Studio Vocale bestens einstudiert faszinierende, atmosphärisch intime Klangwelten schufen. Stimmlich und klanglich ausgewogen präsentierten sich die ausgezeichneten Chöre, sanft wie kraftvoll, so voluminös, dass der große Saal vibrierte. Sie bestachen durch saubere Intonation, sonore Tiefen und feenhafte Höhen, bezaubernde Gesangskultur mit langem Atem und prickelnder Inspiration.
Alexander Werner